Johannes Weßling / Marco Romswinkel, Greven*

Wehret den Anfängen -- Keine Diskriminierung ausländischer Gesellschaften nach EuGH "Inspire Art"

I. Sachverhalt und Begründung

In England wurde eine Limited (Ltd.) gegründet (zur Gründung einer englische Ltd. mit Verwaltungssitz in Deutschland s. Ebert/Levedag, GmbHR 2003, 1337 -- in diesem Heft), deren Anteilseigner wiederum zwei UK-Ltd.'s waren. Der Registersitz der Gesellschaft befand sich in Cardiff, UK, der Verwaltungssitz der Gesellschaft befand sich in Hamburg. Das gezeichnete Kapital der Gesellschaft betrug 100 GBP. Die Gesellschaft tätigte ausschließlich in Deutschland Geschäfte und wurde zahlungsunfähig. Der Geschäftsführer der Gesellschaft tauchte unter und hat offensichtlich Geschäfte in betrügerischer Absicht getätigt. Eine Krankenkasse, die Forderungen aus Sozialversicherungsbeiträgen hatte, stellte Insolvenzantrag. Dieser Antrag wurde mangels Masse abgelehnt. Gleichzeitig wurde allerdings diese Ltd. durch das Gericht als OHG behandelt, so daß eine unbegrenzte Haftung der Gesellschafter angenommen wurde (AG Hamburg v. 14.5.2003 -- 67 g IN 358/02 -- "Vierländer Bau Union Ltd.", GmbHR 2003, 957).

Der 2. Leitsatz des Einsenders der Entscheidung lautet:

"Die Gesellschafter einer englischen Limited kommen im deutschen Insolvenzverfahren regelmäßig nicht in den Genuß einer Haftungsbeschränkung, wenn die englische Limited ausschließlich in Deutschland operiert hat und in tatsächlicher Hinsicht nicht mit hinreichendem Kapital ausgestattet ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn weitere Indizien hinzutreten, die zwingend aus eine rechtsmißbräuchliche Auslandsgründung als reine 'Briefkastenfirma' schließen lassen."

II. Abweichung von gefestigter EuGH-Rechtsprechung

Dieser Beschluß widerspricht damit in einer Weise der geltenden Rechtsprechung des EuGH, die es notwendig erscheinen läßt, die Begründung nicht unwidersprochen zu lassen.

1. Generelle Anerkennung ausländischer Gesellschaften ...

Aus den jüngsten Entscheidungen des EuGH (insbesondere EuGH v. 9.3.1999 -- Rs. C-212/97 "Centros", GmbHR 1999, 474; v. 5.11.2002 -- Rs. C-208/00 -- "Überseering", GmbHR 2002, 1137; v. 30.9.2003 -- Rs. C-167/01 -- "Inspire Art", GmbHR 2003, 1260 mit Komm. W. Meilicke) ist zu folgern, daß ausländische Gesellschaften "... ohne wenn und aber ..." (so bereits deutlich die Schlußanträge des Generalanwalts Siegbert Alber v. 30.1.2003 -- Rs. C-167/01 -- Inspire Art", GmbHR 2003, 302 [LS] www.gmbhr.de/volltext.htm, Tz. 104; s. auch EuGH v. 30.9.2003, aaO, Rz. 97) anzuerkennen sind (aus österreichischer Sicht Straube/Rathka, GeS 2003, 148 ff.). Dies bedeutet selbstverständlich auch die Anerkennung der jeweiligen beschränkten Haftung der Gesellschafter ausländischer Gesellschaften, dies insbesondere auch dann, wenn deren Mindestkapital Gesellschaft nicht demjenigen der inländischen Rechtsordnung entspricht (so auch Lutter, BB 2003, 7 [9], Kallmeyer , GmbHR 2003, R 93).

2. ... abgesehen von Fällen des Rechtsmißbrauchs

Bei Sachverhalten dieser Art, so auch im zitierten Beschluß, wird regelmäßig geltend gemacht, daß sich auch nach der Rechtsprechung des EuGH Staatsangehörige dann nicht auf Gemeinschaftsrecht berufen können, wenn sie sich mißbräuchlich der durch das EU-Recht geschaffenen Möglichkeiten der Anwendung des nationalen Rechts entziehen (vgl. z.B. Schlußanträge, aaO, Tz. 26 ff. und EuGH v. 30.9.2003, aaO, Rz. 131 ff.). Allerdings -- und dies verkennt der Beschluß -- ist gerade die Gründung einer ausländischen Gesellschaft nach ausländischem Recht und die anschließende Verlagerung der Tätigkeit dieser Gesellschaft in einen anderen EU-Mitgliedsstaat nicht mißbräuchlich. Dies gilt auch dann, wenn das ausschließliche Motiv dieser Gründung die Vermeidung der nationalen Gründungsvorschriften ist (vgl. EuGH v. 30.9.2003, aaO, Rz. 137 ff.). Entgegen dieser klaren Rechtslage wertet das AmtsG Hamburg ausdrücklich bereits die Tatsache der fehlenden tatsächlichen Kapitalausstattung der Gesellschaft bei gleichzeitiger Haftungsbegrenzung der Gesellschafter als Indiz für das Vorliegen eines Mißbrauchs. Als Rechtsfolge will es den Gesellschaftern der Ltd. die Haftungsbeschränkung verweigern.

Nach der Sachverhaltsdarstellung hat sich allenfalls der Geschäftsführer der Gesellschaft mißbräuchlich verhalten. Wieso deswegen den Gesellschaftern die Haftungsbeschränkung verweigert werden soll, ist völlig zweifelhaft. Die innerstaatlichen Regeln bieten ausreichend Raum, in diesem Fall den Geschäftsführer selbst in Haftung zu nehmen.

3. Keine Haftungsausweitung auf Gesellschafter und Geschäftsführer

Die Verweigerung der Haftungsbeschränkung der Gesellschafter verstößt selbst gegen Gemeinschaftsrecht. Im Fall "Inspire Art" hat die niederländische Regierung versucht, durch gesetzliche Regelungen (wet op de formeel buitenlandse vernootschappen [Gesetz über formal ausländische Gesellschaften], vgl. EuGH v. 30.9.2003, aaO, Rz. 28) in einem solchen Fall die unbeschränkte Haftung dem Geschäftsführer der Gesellschaft aufzuerlegen. Dies wird vom EuGH mit überzeugenden Gründen als EU-rechtswidrig angesehen (vgl. EuGH v. 30.9.2003, aaO, Rz. 101 ff.). Was für eine Haftungsausweitung auf den Geschäftsführer gilt, muß jedoch erst Recht für die Haftungsausweitung auf Gesellschafter gelten, da diese tatsächlich nur untergeordneten Einfluß auf die Geschäftsführung haben und sich auch im vorliegenden Fall nicht mißbräuchlich verhalten haben (vgl. Straube/Rathka, GeS 2003, 148 [150]).

4. Wettbewerb der EU-Rechtsformen

Im Ergebnis ist es für die inländische Rechtsordnung und für die für die Rechtsordnung verantwortlichen Mitgliedern der Rechtspflege natürlich unbefriedigend, daß die eigene Rechtsordnung gegen europäisches Recht verstößt und daher vom höherrangigen EuGH verworfen wird (vgl. Schlußanträge, aaO, Tz. 83). Die deutsche Regierung hat den EuGH in diesem Zusammenhang gar aufgefordert, Wege aufzuzeigen, wie gegen die Gründung von sog. "Briefkastenfirmen" vorzugehen sei. Schon die Antwort des Generalanwalts war klar: "Eine derartige an den Gerichtshof gestellte Formulierung überrascht, sind es doch die Mitgliedsstaaten selbst, die Adressat dieses Verlangens sein sollten" (vgl. Schlußanträge, aaO, Tz. 23). Bis sich mithin die Mitgliedsstaaten der Union auf ein einheitliches Recht der Kapitalgesellschaften geeinigt haben, wird es zukünftig zu einem Wettbewerb der Rechtsformen der einzelnen Staaten kommen (EuGH v. 30.9.2003, aaO, Rz. 84 und 102 ff.).

Im übrigen ist aus dem im Beschluß dargestellten Sachverhalt heraus auch nicht ersichtlich, wieso die Rechtsmißbräuchlichkeit "... aus anderen Gründen unzweifelhaft vorliegt". Selbstverständlich hat der Geschäftsführer als solcher offensichtlich gegen eine Vielzahl von Vorschriften verstoßen, die auch strafrechtliche Relevanz haben und die bei ihm sicherlich auch zu entsprechenden Haftungen aus anderen Gründen führen. Dieses Verhalten wäre jedoch genauso zu werten, wenn er es im Rahmen einer inländischen GmbH an den Tag gelegt hätte. Der Rechtsmißbrauch bezieht sich u.E. hier jedenfalls nicht auf die Gründung der Ltd. Jedem Geschäftspartner bleibt es überlassen, mit einer UK-Ltd. Geschäfte abzuschließen oder Arbeitsverhältnisse einzugehen. Im übrigen wäre das Kind sicherlich auch in den Brunnen gefallen, wenn statt der UK-Ltd. eine in Bayern gegründete GmbH aufgetreten wäre. Nur wäre niemand auf den Gedanken gekommen, den Gesellschaftern die Haftungsbegrenzung abzuerkennen, nur weil die Gesellschaft in Bayern lediglich einen Briefkasten besitzt.

III. Gleichbehandlung aller EU-Gesellschaften

Insgesamt gibt dieser Beschluß des AG Hamburg Gelegenheit darauf hinzuweisen, daß sich das europäische Recht nicht nur im Gesellschafts-, Bilanz- und Steuerrecht durchsetzt, sondern auch andere Bereiche der Rechtsordnung wie hier die Insolvenzordnung tangiert. Das Pochen auf die nationale Rechtsordnung hat hier keine Chance mehr. Es macht keinen Unterschied, ob eine Briefkastenfirma in Cardiff oder ab 2004 in Ljubljana gegründet wird; sie ist nach der nationalen Rechtsordnung genauso zu behandeln wie eine "Briefkastenfirma" in München, die in Hamburg ihre Geschäfte tätigt, nämlich vollumfänglich anzuerkennen.

Es besteht auch keine Notwendigkeit, diese Gesellschaften anders zu behandeln, da die Marktteilnehmer die Buchstabenkombination "Ltd." von der Buchstabenkombination "GmbH" durchaus unterscheiden können (A.A. -- wohl nur für Österreich -- Straube/Rathka, GeS 2003, 148 [151]) und selbst entscheiden werden, ob sie mit derartigen Gesellschaften Vertragsverhältnisse eingehen oder nicht.

Der Beschluß ist aus unserer Sicht darüber hinaus inkonsequent: Die Haftungsausweitung auf die Gesellschafter der UK-Ltd. führt dazu, daß nunmehr die beiden UK-Muttergesellschaften unbeschränkt haften. Auch diese Muttergesellschaften sind nur mit niedrigem Kapital ausgestattet. Konsequenterweise müßten auch diese Gesellschaften als OHG’s behandelt werden, und es müßten die Vermögensverhältnisse der Gesellschafter der Muttergesellschaften geprüft werden. Dies unterläßt das AmtsG allerdings. Sollte das Gegenargument lauten, daß diese Gesellschaften keinen Verwaltungssitz in Deutschland haben, so wäre der gesamte Beschluß Makulatur, da dann die soeben verkündete Vollhaftung der Gesellschafter der UK-Ltd. durch die Gründung einer weitere Ein-GBP-Holding-Ltd. mit Verwaltungssitz in UK ausgehebelt werden könnte.

Die Folgen des Beschlusses sollen ebenfalls keine Anwendung finden, wenn die UK-Ltd. nicht ausschließlich im Inland tätig ist. Das bedeutet, daß für die Gesellschafter die volle Haftungsbegrenzung bestehen bliebe, wenn der Geschäftsführer seine betrügerischen Geschäfte zu 60% in UK und nur zu 40% im Inland ausführt. Dies ist u.E. ein widersinniges Ergebnis.

Im Ergebnis bleibt zu hoffen, daß dieser Beschluß nicht dazu führt, daß sich vermögende Gesellschafter einer UK-Ltd. mit Verwaltungssitz in Deutschland demnächst unsinniger Haftungsklagen erwehren müssen.

 

 

* Dipl.- Kfm. Johannes Weßling, M.I.Tax ist Wirtschaftsprüfer und Steuerberater sowie Partner, Dipl.-Finanzw. Marco Romswinkel, M.I.Tax ist Steuerberater sowie Mitarbeiter der Sozietät Lauscher Rechtsanwälte Notar Wirtschaftsprüfer Steuerberater in Greven.