Dr. Harald Kallmeyer,
Rechtsanwalt, Düsseldorf

Das Eigenkapitalersatzrecht vor dem Hintergrund von Centros und Überseering

Die Entscheidungen des EuGH v. 9.3.1999 -- Rs. C-212/97 -- "Centros", GmbHR 1999, 474 und v. 5.11.2002 -- Rs. C-208/00 -- "Überseering", GmbHR 2002, 1137 führen im Ergebnis dazu, daß "ausländische GmbH" (vgl. § 13e, § 13g HGB) in Deutschland als ausländische Rechtsform anzuerkennen sind (Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 [2241]; Lutter, BB 2203, 7 [9]; Leible/Hoffmann, R/W 2002, 925 [928]. Dies gilt zwangsläufig auch für die nach dem Gründungsrecht erworbene Haftungsbeschränkung. Es wäre ein Unding, wollte man die ausländische Gesellschaft teilweise "als solche" anerkennen, teilweise aber wieder nicht mit der Folge, daß sie sich für die Niederlassung in Deutschland mit Haftungsbeschränkung doch in eine deutsche Rechtsform umgründen müßte (verfehlt deshalb Zimmer, BB 2003, 1 [5]). Eine britische Private Company limited oder eine niederländische Besloten Vennotschap (B.V.) unterliegen also, auch wenn sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland haben, allein den britischen oder niederländischen gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutzvorschriften. Die deutschen Mindestkapitalvorschriften einschließlich aller Vorschriften über dessen Aufbringung und Erhaltung finden keine Anwendung. Das gilt auch für das deutsche Eigenkapitalersatzrecht, das jedenfalls gemäß Rechtsprechungsregeln der Erhaltung des Stammkapitals dient.

Künftig haben wir also in Deutschland die Wahl zwischen einer privaten Kapitalgesellschaftsform mit und einer solchen ohne Eigenkapitalersatzrecht. Wenn man sich andererseits vergegenwärtigt, welche unübersehbaren Fallstricke das Eigenkapitalersatzrecht der deutschen GmbH im Leben eines Unternehmens mit allem auf und ab für die Gesellschafter mit sich bringt, so kann man sich unschwer vorstellen, wie die Wahl ausfällt. Es sei denn, das Eigenkapitalersatzrecht würde zu einer höheren Kreditwürdigkeit einer deutschen GmbH als die einer britischen Limited oder einer niederländischen B.V. führen. Das ist kaum anzunehmen. Denn für die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens kommt es allein auf dessen Ertragsaussichten, nicht dagegen auf die Möglichkeiten zur Anreicherung der Masse im Insolvenzfall an.

Damit das deutsche GmbH-Recht im Wettbewerb der Systeme eine Chance hat, sollte das deutsche Eigenkapitalersatzrecht überprüft und möglichst abgeschafft werden. Dies gilt zumindest für die sog. Rechtsprechungsregeln, während § 32a, § 32b GmbHG als insolvenzbedingte Regeln erhalten bleiben könnten. Dies ist bereits mehrfach vorgeschlagen worden (Claussen, Die GmbH braucht eine Deregulierung des Kapitalersatzrechts, GmbHR 1996, 316; Grunewald, Plädoyer für eine Abschaffung der Rechtsregeln für eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen, GmbHR 1997, 7).

Das Eigenkapitalersatzrecht ist in der Tat rechtspolitisch fragwürdig. Indem es die Gesellschafterfremdfinanzierung in der Krise unterbindet, verhindert es außergerichtliche Sanierungen und führt zu einer Erhöhung der Zahl der Insolvenzen. Damit wirkt es dem Interesse an der Erhaltung des Unternehmens entgegen. Denn wer weiß schon im vorhinein, ob die Sanierung gelingen wird. Andererseits werden Gläubiger geschützt, die gar nicht schutzwürdig sind! Die kreditgebenden Banken sind meist besser über die Lage des Unternehmens informiert als die Gesellschafter, eine allzu leichtsinnige Kreditvergabe wird künftig Basel II verhindern. Die Lieferanten können sich durch verlängerte Eigentumsvorbehalte schützen, und für die Deliktsgläubiger würde eine Zwangshaftpflichtversicherung adäquaten Schutz bieten. Außerdem ist diese richterliche Rechtsfortbildung methodisch fragwürdig. Sie greift mit der Umqualifizierung von Gesellschafterdarlehen jenseits von § 826 BGB unverhältnismäßig in die Privatautonomie ein. Eine Analogie zu § 30, § 31 GmbHG kann es nicht geben, weil dort Eigenkapital vorausgesetzt wird und von einer Umqualifzierung auch nicht im Ansatz die Rede ist.

Das Eigenkapitalersatzrecht gehört jedenfalls nicht zu den Regeln, denen man aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls ausländische Gesellschaften zu unterwerfen hätte. Es handelt sich nicht um Maßnahmen zur Bekämpfung von Betrügereien, die gemeinschaftsrechtlich zulässig sind (Schanze/Jüttner, AG 2003, 30 [34]). Das deutsche Eigenkapitalersatzrecht ist in seiner Allgemeinheit wahrlich nicht mit dem niederländischen Gesetz über die "formell" ausländischen Gesellschaften vergleichbar.

Gegen eine Einschränkung oder gar Abschaffung des Eigenkapitalersatzrechts wird sich in Deutschland vor allem Widerstand bei dem "Berufsstand der Kapitalersatzrechtler" (s. Altmeppen, FS Sigle, 2000, S. 211) regen. Er wird von der geliebten Spezialmaterie nur ungern Abschied nehmen wollen. Dem BGH sei jedoch gesagt: Dem mutigen Schritt, die ausufernde GmbH-Konzernhaftung einzudämmen, sollte der weitere Schritt folgen, auch das Eigenkapitalersatzrecht auf seinen berechtigten Kern zurückzuführen. Dabei wäre ganz ähnlich wie bei der Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs international verträglich an § 826 BGB anzuknüpfen (Schanze/Jüttner, AG 2003, 30 [35]).


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