BGH v. 18.4.2024 - IX ZR 129/22

Zum Bestreiten des zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit einer GmbH aufgestellten Liquiditätsstatusses

Von einem außerhalb der Gesellschaft stehenden Dritten kann nicht ohne Weiteres verlangt werden, dass er den vom Insolvenzverwalter zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin aufgestellten Liquiditätsstatus im Einzelnen konkret und substantiiert bestreitet, wenn der vom Insolvenzverwalter vorgelegte Liquiditätsstatus keine Einzelheiten enthält und der Insolvenzverwalter seinerseits seinen Vortrag nicht näher - etwa durch Vorlage von Rechnungen, Kontoauszügen oder sonstigen Unterlagen - belegt hat.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 5.7.2013 am 28.4.2014 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der O. GmbH (Schuldnerin). Geschäftsgegenstand der Schuldnerin war die Vermietung von Gewerbeimmobilien, deren Erwerb durch Darlehen finanziert wurde. Die Beklagte gewährte der Schuldnerin mehrere Darlehen; die Darlehensverträge wurden in der Zeit zwischen September und November 2003 und im Oktober 2009 geschlossen. Zur Sicherheit bestellte die Schuldnerin der Beklagten Grundschulden an ihren Grundstücken. Ferner trat die Schuldnerin ihre gegenwärtigen und künftigen Mietforderungen an die Beklagte ab und verpflichtete sich, der Beklagten die Zahlung auf bestimmte, zugleich verpfändete Reserve- und Rücklagekonten nachzuweisen und ihre Jahresabschlüsse vorzulegen.

In den im Jahr 2003 geschlossenen Darlehensverträgen verpflichtete sich die Schuldnerin darüber hinaus zur Zahlung von 20 Prozent des Teils eines Erlöses aus dem Verkauf einer Immobilie, der den zu gegebener Zeit noch offenen Darlehensbetrag überstieg, und räumte der Beklagten einen Zustimmungsvorbehalt für Geschäfte der Schuldnerin mit einem Volumen ab 25.000 € ein. Die Verkaufserlösbeteiligung und der Investitionsvorbehalt wurden mit einer Vertragsänderung im November 2006 aufgehoben. Die Beklagte kündigte die Darlehensverträge im Juli 2012. Die von der Beklagten beantragte Zwangsverwaltung der Grundstücke der Schuldnerin begann im Dezember 2012.

Auf Vorschlag der Beklagten betraute die Schuldnerin die H. GmbH (H.) ab Juli 2011 mit der Verwaltung der Immobilien, einschließlich des Einzugs der Mieten. Dabei gingen die Mietzahlungen der Mieter der Schuldnerin auf einem Konto der H. ein, von dem wiederum Zahlungen auf die Darlehenskonten der Schuldnerin bei der Beklagten vorgenommen wurden. Der Kläger nimmt die Beklagte - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - auf Rückzahlung von Mieteinnahmen der Schuldnerin i.H.v. rd. 240.000 € in Anspruch, die in der Zeit zwischen dem 29.6.2011 und dem 13.7.2012 auf einem Konto der H. eingegangen waren, von dem sodann auf Anweisung der Schuldnerin Beträge auf Darlehenskonten der Schuldnerin bei der Beklagten weitergeleitet wurden.

Das LG gab der Klage teilweise statt und verurteilte die Beklagte zur Rückgewähr der ab dem 31.10.2011 erhaltenen Zahlungen i.H.v. rd. 190.000 €. Auf die Berufung der Beklagten wies das OLG die Klage i.H.v. weiteren rd. 8.000 € ab. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Die Begründung, mit der das OLG eine Anfechtung der im Zeitraum zwischen dem 31.10.2011 und dem 13.7.2012 erfolgten Zahlungen nach § 133 Abs. 1 InsO bejaht, ist rechtsfehlerhaft. Da das Insolvenzverfahren vor dem 5.4.2017 eröffnet worden ist, sind die Vorschriften der §§ 130 ff InsO in der bis dahin geltenden Fassung weiter anzuwenden.

Der Kläger hat sich zum Nachweis der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin auf einen Liquiditätsstatus zum Stichtag 28.2.2010 gestützt. Dieser wies als unmittelbar fällige Passiva zum Stichtag ohne weitere Differenzierung Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung, Verbindlichkeiten aus Umsatzsteuer und kurzfristige Kapitalverbindlichkeiten sowie als Passiva II innerhalb der folgenden 21 Tage fällig werdende Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung aus. Zu Unrecht und unter Verstoß gegen § 138 ZPO hat das OLG das Bestreiten der Beklagten als unsubstantiiert behandelt. Es hat gemeint, der Anfechtungsgegner habe die einzelnen aus dem Liquiditätsstatus herauszunehmenden Zahlungspflichten darzulegen und zu beweisen. Dadurch hat es die Anforderungen an ein wirksames Bestreiten des Anfechtungsgegners überspannt. Die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden hängen davon ab, wie substantiiert der darlegungsbelastete Gegner vorgetragen hat. Je detaillierter der Vortrag der darlegungsbelasteten Partei ist, desto höher ist die Erklärungslast der bestreitenden Partei nach § 138 Abs. 2 ZPO. Fehlt es dagegen an einer näheren Darlegung von Einzelheiten durch die darlegungsbelastete Partei, kann ein einfaches Bestreiten des Gegners genügen.

Gemessen hieran ist das Bestreiten der Beklagten ausreichend substantiiert. Die Beklagte hat das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin und die Richtigkeit des vom Kläger vorgelegten Liquiditätsstatus, die Höhe und Fälligkeit der angeblichen Verbindlichkeiten der Schuldnerin aus Lieferung und Leistung, die vermeintliche offene Umsatzsteuerverbindlichkeit und die fällig werdenden Verbindlichkeiten mit Nichtwissen bestritten. Ihre eigenen Forderungen gegen die Schuldnerin auf Rückzahlung der Darlehen hat sie für gestundet gehalten. Dieses Bestreiten ist in Anbetracht des Vortrags des Klägers zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin am 28.2.2010 als ausreichend anzusehen. Der Kläger hat seinen Vortrag nicht näher - etwa durch Vorlage von Rechnungen, Kontoauszügen oder sonstigen Unterlagen - belegt. Mangels näherer Darlegung von Einzelheiten bestand für die Beklagte weder Anlass noch Möglichkeit, ihr Bestreiten im Einzelnen näher zu erläutern. Dass die Beklagte tatsächlich ins Einzelne gehende Kenntnisse von der Finanzlage der Schuldnerin hatte, etwa aufgrund der zwischen den Parteien vereinbarten Informations- und Unterrichtungspflichten, hat das OLG nicht festgestellt.

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem vom OLG herangezogenen Urteil des BGH vom 19.12.2017 (II ZR 88/16) zu den Anforderungen an das Bestreiten eines Liquiditätsstatus durch den Geschäftsführer einer insolventen GmbH. Danach kann der Geschäftsführer einen vom Insolvenzverwalter zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO aufgestellten Liquiditätsstatus, der auf den Angaben aus der Buchhaltung der Schuldnerin beruht, nicht mit der pauschalen Behauptung bestreiten, die Buchhaltung sei nicht ordnungsgemäß geführt worden. Er hat vielmehr im Einzelnen vorzutragen und ggf. zu beweisen, welche der in den Liquiditätsstatus eingestellten Verbindlichkeiten trotz entsprechender Verbuchung zu den angegebenen Zeitpunkten nicht fällig und eingefordert gewesen sein sollen. Diese Grundsätze gelten nicht ohne Weiteres für einen außerhalb der Gesellschaft stehenden Dritten. Der Geschäftsführer einer GmbH ist verpflichtet, für die ordnungsgemäße Buchhaltung der Gesellschaft zu sorgen. Er ist aufgrund seiner Tätigkeit mit den finanziellen Verhältnissen der insolvent gewordenen Gesellschaft vertraut und deswegen gehalten, im Einzelnen substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen, welche der in der Buchhaltung vorhandenen Buchungen in welcher Hinsicht unrichtig sein sollen.

Das OLG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Beklagte aufgrund der zwischen ihr und der Schuldnerin getroffenen Vereinbarungen über Informations- und Unterrichtungspflichten der Schuldnerin einem Geschäftsführer entsprechende Kenntnisse von der finanziellen Situation der Schuldnerin hatte. Es hat vielmehr rechtsfehlerhaft angenommen, der Anfechtungsschuldner sei grundsätzlich gehalten, die einzelnen, in den Liquiditätsstatus noch aufzunehmenden Zahlungsmittel oder herauszunehmenden Zahlungspflichten darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen.

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Laroche in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 03.06.2024 15:59
Quelle: BGH online

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