Aktuell in der GmbHR

Aus Schaden wird man klug – Kartellbußen als Schaden in Organhaftungsprozessen (Ristelhuber, GmbHR 2024, 509)

Das OLG Düsseldorf hat mit Urteil vom 27.7.2023 in dem Prozess einer GmbH gegen ihren Geschäftsführer mit einer ausführlichen Begründung entschieden, dass die Gesellschaft gegen sie verhängte Kartellbußen nicht als Schaden der Gesellschaft gegenüber dem verantwortlichen Organ geltend machen kann. Kartellrechtliche Verbandsgeldbußen seien im Wege der teleologischen Reduktion vom Binnenregress der Gesellschafter gegen ihre Organe auszunehmen. Damit ist der Streit über die Frage der Ersatzfähigkeit von Geldbußen neu entfacht.

I. Vorbemerkung
II. Die „Vorgeschichte“
III. Der Meinungsstand
IV. Stellungnahme

1. Ausgangspunkt
2. Schutzzweck der Norm
3. Allgemeines Schadensrecht
4. Teleologische Reduktion
5. Verfassungskonforme Auslegung
a) Persönliche Betroffenheit
aa) Gesetzesbegründung
bb) Sanktionscharakter der kartellrechtlichen Geldbuße
cc) Präventionscharakter der kartellrechtlichen Geldbuße
b) Doppelte Sanktionierung
c) Verfassungsrechtlicher Kontext
d) D&O Versicherung
6. Schadenhöhe
V. Fazit


I. Vorbemerkung

1
Der Streit über die Regressierbarkeit von Kartellbußgeldern wird ersichtlich vor dem Hintergrund geführt, dass sich die dem Unternehmen auferlegten Bußgelder an Kriterien orientieren, die unternehmensbezogen sind und zu Bußgeldern in einer Höhe führen, die das verantwortliche Organ im Regelfall nicht wird ausgleichen können. Zudem wird das verantwortliche Organ regelmäßig selbst von einem Kartellbußgeld „getroffen“, was eine „doppelte“ Sanktionierung des Organs zumindest nahelegt, bejaht man einen Regress des Unternehmens gegen das verantwortliche Organ. Die Gegenseite weist hingegen darauf hin, dass wenig plausibel ist, wenn eine gar vorsätzliche Verletzung der Unternehmensinteressen solcherart bei der Liquidierung des Schadens unberücksichtigt bliebe.

II. Die „Vorgeschichte“
2
Die Vorgeschichte zur Regressfähigkeit von Kartellbußen ist schnell erzählt. Das ArbG Essen hatte in einem Fall des sog. „Schienenkartells“ entschieden, dass die Verpflichtung des Geschäftsleiters zur Übernahme eines dem Unternehmen auferlegten Bußgeldes rechtsmissbräuchlich sei. Das LAG Düsseldorf wies die hiergegen eingelegte Berufung zurück und führte zur Begründung u.a. an, dass der Abschöpfungsanteil der Geldbuße bereits kein Schaden des Unternehmens sei. Zudem entstünde durch die Geltendmachung ein Wertungswiderspruch zum Sanktionscharakter der kartellrechtlichen Bußgeldnorm. Das BAG hob die Berufungsentscheidung schließlich wegen der fehlenden Zuständigkeit der Arbeitsgerichte auf. Kurz darauf, mit Urteil vom 15.9.2020, befasste sich das LG Saarbrücken mit der Problematik. Die streitgegenständlichen Ansprüche sah das Gericht als verjährt an, nahm aber gleichwohl zur materiellen Rechtslage Stellung. Einen Regress sah das Gericht im Widerspruch zum effet utile der Art. 101, 105 AEUV: Eine Regressierbarkeit von Kartellbußen mildere die gewollte abschreckende Wirkung der Bußen ab und berühre damit den Kern der öffentlich-rechtlichen Kartellverfolgung durch die Kommission. Auch wenn das Gesellschaftsrecht in Bezug auf die Haftung von Unternehmensvorständen nationales Recht sei, dürfe dieses den allgemeinen Regeln des Europarechts nicht widersprechen.

III. Der Meinungsstand
3
Im Anschluss an die vorzitierten Entscheidungen entspann sich ein Meinungsstreit zwischen den Befürwortern und Gegnern der Regressfähigkeit von Kartellbußen, mit dem sich das OLG Düsseldorf in seiner Entscheidung im Einzelnen auseinandergesetzt hat.

4
Soweit sich Rechtsprechung und Literatur gegen einen Regress der Organe aussprechen, geschieht dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass die Anwendung der gesellschaftsrechtlichen Anspruchsgrundlagen für den Binnenregress einer Korrektur bedürfen, damit der abschließende sanktionsrechtliche Charakter der Verbandsgeldbußen nicht unterlaufen werde. Zum Teil wird dies dogmatisch aber auch anders begründet, so mit dem Schutzzweck der Norm oder – wie eben vom ArbG Essen – mit der Rechtsmissbräuchlichkeit der Geltendmachung eines Regressanspruchs, wobei auch hier auf den abschließenden Sanktionscharakter der Geldbuße hingewiesen wird. Schließlich wird auch auf die Notwendigkeit der Einheit der Rechtsordnung als dogmatischer Ausgangspunkt abgestellt.

5
Soweit die Gegenauffassung darauf verweise, dass der BGH die Regressfähigkeit von Bußgeldern gegenüber Beratern für zulässig halte, bestehe der wesentliche Unterschied darin, dass bei den Beraterfällen alleine der Geschädigte Sanktionsadressat sei und es an einer weiteren sanktionsrechtlichen Regelung im Verhältnis Berater und Beratenem fehle. Hingegen habe der Gesetzgeber bei der Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG von vornherein mehrere Sanktionsadressaten im Blick gehabt, die jeweils nach individuell abgestimmten Bemessungsfaktoren bebußt werden könnten. Dies dürfe nicht durch den Rekurs auf allgemeine Organhaftungsregelungen unterlaufen werden.

6
Aus demselben Grund könne für die gegenteilige Auffassung auch nicht das Urteil des BGH vom 22.9.2016 herangezogen werden, wonach ein Verein für Zuschauerausschreitungen den „Randalierer“ in Regress nehmen könne.

7
Ferner sei auch der mit Urteil des BGH vom 18.11.2014, wonach ein Gesamtschuldnerausgleich zwischen mehreren bebußten Unternehmen nach § 426 Abs. 1 BGB stattzufinden habe, nicht mit dem Innenregress im Wege der Organhaftung vergleichbar.

8
Schließlich sei mit der Entscheidung des BGH, wonach mit der Zahlung einer Geldstrafe durch einen Dritten keine Strafvereitelung nach § 258 StGB einhergeht, nichts anderes gesagt, als dass ein solches Verhalten nicht strafwürdig sei. Daraus ergebe sich aber nicht, dass durch die Leistung eines Dritten der Sanktionszweck nicht unterlaufen würde.

9
Die jedenfalls in der Kommentarliteratur immer noch überwiegende Gegenauffassung, die eine Regressfähigkeit bejaht, beruft sich zunächst auf die Differenzhypothese, wonach...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.05.2024 16:41
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

zurück zur vorherigen Seite