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Unternehmensfortführung von Start-ups - Insolvenzrisiko und Going Concern in der Handelsbilanz (Mujkanovic, GmbHR 2024, 453)

Start-ups, denen der Gesetzgeber u.a. mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz einen verbesserten Zugang zum Kapitalmarkt verschaffen will, fehlen regelmäßig noch ausreichende Zahlungsmittelzuflüsse aus operativer Tätigkeit. Daher sind sie auf die Zufuhr von Zahlungsmitteln in Form von Eigen- oder Fremdkapital angewiesen. Mit gestiegenen Zinsen, kriegerischen Auseinandersetzungen, sich abkühlender Wirtschaftslage und möglicherweise zunehmender Risikoscheu von Kapitalgebern wird auch die Finanzierung von Start-ups gerade in Deutschland noch schwieriger als sie es ohnehin oft ist. Damit stellt sich für Start-ups die Frage, wie sie in angespannter Lage zu einer positiven handelsbilanziellen Fortführungsprognose kommen, die vom Abschlussprüfer mitgetragen werden kann und nicht selten Voraussetzung für die weitere Finanzierung ist. Die interdisziplinäre Beschäftigung mit der handelsbilanziellen Fortführungsprognose führt dabei regelmäßig über Fragen der betriebswirtschaftlichen Finanzwirtschaft zur insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose.

I. Insolvenzrisiko bei Start-ups
1. Finanzierungsbedarf und Insolvenzrisiko
2. Finanzierungsquellen für Start-ups
II. Bedeutung derFinanzierung für die Fortführungsannahme bei Start-ups
III. Finanzierung und Fortbestehensprognose

1. Sicherheitsgrad der Finanzierung
2. Patronatserklärung
3. Milestones
4. Sonderrecht für Start-ups?
5. Ausstrahlung auf die handelsbilanzielle Fortführungsprognose
IV. Bilanzielle Folgen aus der Aufgabe der Fortführungsannahme
V. Fazit



I. Insolvenzrisiko bei Start-ups

1. Finanzierungsbedarf und Insolvenzrisiko

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Von Start-ups verspricht man sich künftiges ökonomisches Potential durch die Entwicklung innovativer oder gar disruptiver Produkt- und Geschäftsideen, weswegen der Gesetzgeber mit Regelungen im Zukunftsfinanzierungsgesetz zum Finanzmarktrecht, Gesellschaftsrecht und Steuerrecht den Zugang zum Kapitalmarkt und die Aufnahme von Eigenkapital verbessern will, was auch die Attraktivität der Rechtsform der Aktiengesellschaft für Start-ups erhöht.

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Start-ups zeichnen sich häufig dadurch aus, eine neue Geschäftsidee bzw. ein neues innovatives oder disruptives Produkt oder eine Dienstleistung zu entwickeln und in den Markt einzuführen. Von der Gründung bis zur Erzielung nachhaltiger Gewinne und vor allem bis zum Zufluss nennenswerter Zahlungsmittel aus der operativen Geschäftstätigkeit vergehen meist viele Jahre, teils mehr als 10 Jahre. Man denke hier etwa an die langwierige Forschungs- und Entwicklungsarbeit bei Start-ups im Bereich der Biotechnologie. Bis zur Selbstfinanzierung durch ausreichende positive operative Cashflows ist daher die Zuführung von Finanzmitteln in Form von Eigen- und Fremdkapital meist über mehrere Finanzierungsrunden erforderlich, um die Zahlungsfähigkeit sicherzustellen. Dies geschieht häufig durch Zahlungen von Risikokapitalgebern nach Erreichung vereinbarter Meilensteine durch das Start-up oder die Anwerbung weiterer Kapitalgeber. Zur Verbesserung der Startbedingungen von Start-ups wurden mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz u.a. gesellschaftsrechtliche Vereinfachungen insbesondere zur Kapitalzuführung geschaffen und Mehrstimmrechtsaktien eingeführt, die es den Gründern ermöglichen, in größerem Umfang Anteile an Dritte zu begeben, ohne die Kontrolle über das Unternehmen zu verlieren.

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Jüngst war zu lesen: „Zahl der Start-up-Insolvenzen steigt auf Rekordhoch“ und „Im vergangenen Jahr sind in Deutschland so viele Start-ups pleitegegangen wie nie zuvor“. Zudem hat sich im Jahr 2023 mit Ausnahme des Bereichs sog. Künstlicher Intelligenz ein deutlicher Rückgang der Finanzierungszusagen für Start-ups gezeigt. Eine Analyse von CB Insights hat schon früher für den amerikanischen Markt neben Marktproblemen eine unzureichende Finanzierung als häufigen Grund für das Scheitern von Start-ups ermittelt. Mithin ist die Sicherstellung der Finanzierung neben Forschung und Entwicklung eines der zentralen Problemfelder von Start-ups.

[Abb. 1: Phasen und Finanzierungsbedarf]

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Der Gründungs- und Aufbauzeitraum junger Unternehmen lässt sich in die Early Stages, unterteilt in Seed- und Start-up-Phase, sowie die Expansion Stages unterscheiden (s. Abb. 1). Early Stages umfassen zunächst neben der Ideenfindung auch deren Formulierung in einem Business Plan, die Gründung des Unternehmens und gegebenenfalls die Herstellung eines Prototyps (Seed-Phase). Auf die Seed-Phase folgt die Start-up-Phase mit Fortführung und Abschluss der Entwicklungsarbeiten und Markteinführung der Leistung. Während der Expansion Stages bzw. Wachstumsphasen geht es vor allem um die Durchdringung des Marktes zur Erreichung der Gewinnschwelle und Erwirtschaftung positiver Cashflows (Emerging Growth-Phase) sowie um die weitere Skalierung von Leistungserbringung und Absatz (Bridge-Phase). Dem folgt gegebenenfalls der Exit der (Risiko-)Kapitalgeber.

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Während des Gründungs- und Aufbauzeitraums entsteht regelmäßig ein hoher bis sehr hoher Finanzierungsbedarf. Gerade bei innovativen Start-ups beginnen die Gründer häufig in der (Pre-)Seed-Phase mit einem No-Budget-Modell ohne größeren Finanzierungsbedarf oder finanzieren im Rahmen eines Low-Budget-Modells zunächst selbst mit Eigenkapitel, das ihnen aus eigenen Ersparnissen oder aus der Gruppe Family & Friends zur Verfügung steht. Während der Start-up- und Emerging Growth-Phase mit hohem bis sehr hohem Finanzierungsbedarf wird regelmäßig die Akquisition von Kapitalgebern erforderlich (Big-Budget-Modell). Kann der Finanzierungsbedarf nicht gedeckt werden, besteht Insolvenzgefahr und ist die Unternehmensfortführung gefährdet. Die Erfahrung zeigt, dass gerade Unternehmen in jungen Jahren einem erhöhten Insolvenzrisiko unterliegen, weil sie den Finanzierungsbedarf nicht decken können. So betrug im Jahr 2023 der Anteil insolventer Unternehmen mit einem Alter von bis zu 10 Jahren 57,9 % (s. Abb. 2).

[Abb. 2: Insolvenz nach Unternehmensalter]

2. Finanzierungsquellen für Start-ups
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Gängige Quellen der Finanzierung sind für Start-ups etwa:

  • Inkubatoren,
  • Business Angels,
  • Venture Capital,
  • Private Equity.

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Inkubatoren stellen im Rahmen einer sehr engen Beziehung neben einer Finanzierung oder deren Vermittlung insbesondere auch Mentoring und Dienstleistungen zu Verfügung. Dazu zählen u.a. das Angebot von Büroflächen, Infrastruktur, Controlling, Human Resources, Marketing, Ideen, Experten, Teams, Prozessen und Kontakten. Sie erhalten dafür meist einen relativ hohen Geschäftsanteil am Start-up.

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Als Business Angels werden Privatpersonen bezeichnet, die meist während der Early Stages sowohl Eigenkapital, Mezzanine, etwa in Form von ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.05.2024 09:10
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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