Dr. Ursula Lenzen / Dr. Jens Kleinert*

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Kontrolle von Unternehmensabschlüssen (Bilanzkontrollgesetz) vom 8.12.2003

I. Vorbemerkung

Seit einigen Jahren sind Maßnahmen zur Förderung des Kapitalmarkts und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschlands verstärkt in den Blickpunkt der Gesetzgebung gerückt. Meilensteine dabei waren der Erlaß des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes, des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes sowie des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes. Am 25.2.2003 nun hat die Bundesregierung ein 10-Punkte-Programm zur Verbesserung der Unternehmensintegrität und des Anlegerschutzes veröffentlicht. Ein wesentliches Element des Programms ist die Überwachung von Unternehmensberichten kapitalmarkorientierter Unternehmen. Im Vordergrund steht dabei das Ziel, Unregelmäßigkeiten bei deren Erstellung bereits im Vorfeld entgegenzutreten; kommt es dennoch zu Fehlern, sollen diese zumindest aufgedeckt und berichtigt werden. Zur Umsetzung des Programms hat die Bundesregierung am 8.12.2003 den Entwurf eines Gesetzes zur Kontrolle von Unternehmensabschlüssen (Bilanzkontrollgesetz) vorgelegt.

II. Wesentlicher Inhalt des Gesetzesentwurfs

Gegenwärtig obliegt die Kontrolle von Unternehmensabschlüssen den Abschlußprüfern sowie dem Aufsichtsrat der jeweiligen Gesellschaft. Geplant ist nun ein zweistufiges "Enforcement-Verfahren", von dem alle kapitalmarktorientierten Unternehmen betroffen sind, d.h. alle Unternehmen mit Sitz im In- oder Ausland, deren Wertpapiere an einer inländischen Börse im amtlichen oder geregelten Markt gehandelt werden. Nicht gelten sollen die neuen Regeln damit für alle Unternehmen, deren Wertpapiere nicht an einer deutschen Börse oder nur im Freiverkehr gehandelt werden. Geprüft werden sollen grundsätzlich nur die jeweils zuletzt festgestellten Jahresabschlüsse und Lageberichte bzw. Konzernabschlüsse und Konzernlageberichte.

Auf der ersten Stufe des Verfahrens soll eine Überprüfung der Unternehmensabschlüsse und -berichte auf die Einhaltung der Rechnungslegungsvorschriften durch eine neu zu schaffende "Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung" erfolgen. Hierbei soll es sich um eine unabhängige, privatrechtlich organisierte, mit qualifizierten Experten besetzte Stelle (voraussichtlich einen eingetragenen Verein) handeln, in der die Kreise der Wirtschaft mit Nähe zum Finanzmarkt möglichst breit vertreten sind und die dadurch die Gestalt einer Selbstregulierungsorganisation bekommen soll.

Diese Überprüfung auf der ersten Stufe setzt eine freiwillige Kooperation des betroffenen Unternehmens voraus. Die Prüfstelle wird tätig, wenn ihr konkrete Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Rechnungslegungsvorschriften vorliegen oder die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (im folgenden: BaFin) sie zur Prüfung auffordert (was wiederum nur zulässig ist, wenn der BaFin ihrerseits Anhaltspunkte für einen Verstoß vorliegen). Darüber hinaus soll die Prüfstelle stichprobenartige Prüfungen bei den Unternehmen vornehmen. Eine flächendeckende Überprüfung aller Abschlüsse soll und kann die Prüfstelle nicht leisten.

Stellt die Prüfstelle Fehler fest, so schlägt sie dem Unternehmen vor, die Fehler innerhalb einer angemessenen Frist zu beheben. Ist das Unternehmen damit einverstanden, wird die BaFin die Veröffentlichung des festgestellten Fehlers anordnen. Korrigiert das Unternehmen seine Berichte entsprechend den Vorschlägen der Prüfstelle, so ist der gesamte Vorgang abgeschlossen.

Verweigert das Unternehmen die Zusammenarbeit mit der Prüfstelle oder die vorgeschlagene Fehlerbeseitigung, so gelangt das Prüfungsverfahren auf die zweite Stufe.

Auf der zweiten Stufe wird die BaFin für den Staat hoheitlich aktiv. Die Ebene der freiwilligen Kooperation wird verlassen. Die Prüfung und ggf. die Berichtigung der Rechnungslegung kann nun von der BaFin mit öffentlich-rechtlichen Maßnahmen durchgesetzt werden. In diese zweite Stufe gelangt das Prüfungsverfahren neben dem gerade angesprochenen Fall, daß das Unternehmen die Kooperation mit der Prüfstelle oder die vorgeschlagene Fehlerbeseitigung verweigert, dann, wenn die BaFin erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des Prüfungsergebnisses der Prüfungsstelle oder an der ordnungsgemäßen Durchführung der Prüfung hat. Eine Besonderheit besteht bei Unternehmen, die der Aufsicht der BaFin unterliegen. Hier kann die BaFin die Prüfung bereits auf erster Stufe übernehmen.

Die BaFin kann sich bei ihrer Prüfung der Prüfstelle externer Wirtschaftsprüfer oder Sachverständiger bedienen. Ergibt die von ihr angeordnete Prüfung, daß die Rechnungslegung des überprüften Unternehmens fehlerhaft ist, so verpflichtet sie das Unternehmen grundsätzlich, die festgestellten Fehler zu veröffentlichen; die Fehlerbeseitigung selbst kann sie per Verwaltungsakt anordnen. Das betroffene Unternehmen hat dann die Möglichkeit, gegen Verfügungen der BaFin zunächst Widerspruch und dann Beschwerde beim OLG Frankfurt a.$$M. einzulegen.

Anwendung finden soll die Neuregelung erstmals auf Abschlüsse für das Geschäftsjahr, das am 31.12.2004 oder später endet.

Die Kosten der Prüfstelle (einschließlich der Kosten für die konkreten Prüfungen) und die allgemeinen Kosten der BaFin sollen einheitlich durch eine Abgabe aller im amtlichen und geregelten Markt notierten Unternehmen finanziert werden. Die konkreten Kosten einer Prüfung auf der zweiten Stufe werden jeweils dem betroffenen geprüften Unternehmen gesondert aufgelegt, es sei denn, das Ergebnis der Prüfung weicht zu Gunsten des Unternehmens von dem Ergebnis der Prüfung auf der ersten Stufe ab.

III. Stellungnahme

Durch das vorgesehene zweistufige Prüfungsverfahren hofft der Gesetzgeber, Bilanzskandale wie bei Flowtex oder Comroad frühzeitig aufdecken und möglichst sogar verhindern zu können.

Die Reaktionen auf den Gesetzentwurf waren bislang überwiegend positiv. Die zusätzliche Prüfung durch eine von Unternehmen und Abschlußprüfer unabhängige Prüfstelle trägt dazu bei, das Vertrauen insbesondere der Anleger in die Qualität der Rechnungslegung und Abschlußprüfung zu stärken. Durch die auf der ersten Stufe vorgesehene freiwillige Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Prüfstelle wird den Unternehmen die Möglichkeit gegeben, Unstimmigkeiten über Bilanzierungsfragen auf privatrechtlicher Ebene mit einem Gremium qualifizierter Fachleute zu lösen. Nur dort, wo es erforderlich wird, soll der Staat hoheitlich eingreifen.

Der Gesetzentwurf enthält jedoch einige Detailregelungen, die möglicherweise ein nicht unerhebliches Gefahrenpotential in sich bergen.

Der Anwendungsbereich des Gesetzes erstreckt sich auf alle kapitalmarktorientierten Unternehmen, die in Deutschland im amtlichen oder geregelten Markt gelistet sind. Ausweislich der Gesetzesbegründung schließt dies auch Unternehmen mit Sitz (ausschließlich) im Ausland ein. Im Hinblick auf diese Unternehmen soll darauf abzustellen sein, welche Rechnungslegungsgrundsätze nach den dortigen gesetzlichen Vorschriften für diese maßgeblich sind. Dies würde eine Prüfung ausländischer Vorschriften durch die BaFin bzw. die Prüfstelle erforderlich machen. Erst ab 1.1.2005 dürfte sich das Problem jedenfalls im Hinblick auf europäische kapitalmarktorientierte Gesellschaften entspannen, da für diese dann gemäß Verordunung (EG) Nr.1606/2002 zumindest die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards (IAS) einheitlich vorgeschrieben ist (s. auch den Referentenentwurf des "Bilanzrechtsreformgesetz [BilReG]" vom 15.12.2003 und dazu Hoffmann/Lüdenbach, GmbHR 2004, 145 -- in diesem Heft).

Zumindest fragwürdig ist, ob die BaFin durch den nationalen Gesetzgeber ermächtigt werden kann, ausländischen Unternehmen per Verwaltungsakt Vorgaben für ihre Rechnungslegung zu machen und diese durch hoheitliche Maßnahmen durchzusetzen. Selbst wenn dies der BaFin aufgrund der Zulassung der Unternehmen an einer deutschen Börse grundsätzlich möglich sein sollte, so stellt es möglicherweise einen Verstoß gegen das sich aus den EU-Grundfreiheiten ergebende Beschränkungsverbot dar. Denn eine EU-Richtlinie, die den nationalen Stellen ein solches Vorgehen gegen ausländische Unternehmen erlaubt, liegt jedenfalls auf dem Sektor der Rechnungslegungskontrolle und -durchsetzung zumindest bisher nicht vor.

Weiterhin ist vorgesehen, daß die BaFin anordnen soll, daß das Unternehmen einen von der Prüfstelle im Einvernehmen mit dem Unternehmen oder von der BaFin festgestellten Fehler bekanntzumachen hat, es sei denn es besteht daran im Einzelfall kein öffentliches Interesse oder die Veröffentlichung ist geeignet, den berechtigten Interessen des Unternehmens zu schaden. Da der Kapitalmarkt Unternehmen für Rechnungslegungsfehler möglicherweise langfristig abstraft, können Veröffentlichungen von Fehlern, die sich im Nachhinein als falsch erweisen, schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. An die Qualität der durch die Prüfstelle bzw. die BaFin vorgenommenen Prüfungen sowie die personelle Ausstattung der Prüfstelle mit qualifizierten Mitarbeitern sind deshalb besonders hohe Anforderungen zu stellen.

Derzeit ist eine Bekanntmachung der bloßen Einleitung eines Prüfungsverfahrens nicht vorgesehen. Bei der Einleitung eines Prüfungsverfahrens kann es sich jedoch um eine Tatsache handeln, die der Ad-hoc-Publizität unterliegt, so daß sich auf diesem Wege eine Veröffentlichungspflicht ergeben könnte. Schon unter diesem Gesichtspunkt sollte daher, sofern nicht der Gesetzgeber eine ausdrückliche Ausnahme von der Ad-hoc-Publizitätspflicht in das Gesetz aufnimmt, die Einleitung eines Prüfungsverfahrens sorgfältig geprüft werden. Dies gilt um so mehr, als vorgesehen ist, daß die Prüfstelle bei konkreten Anhaltpunkten für einen Verstoß gegen Rechnungslegungsvorschriften tätig werden soll. Anlaß für eine Prüfung können damit nach der Gesetzesbegründung auch Anregungen Betroffener (z.B. Gläubiger oder Aktionäre) sein. Um unbegründete Prüfungsverfahren zu vermeiden, sind deshalb vor Einleitung eines Prüfungsverfahrens die behaupteten Anhaltspunkte sorgfältig zu prüfen.

 

* Dr. Ursula Lenzen ist Rechtsanwältin bei Schmalz Rechtsanwälte in Frankfurt a. M.;
Dr. Jens Kleinert ist Rechtsanwalt in der Steuerabteilung der KPMG Hamburg sowie Lehrbeauftragter an der Fern-Hochschule Hamburg (FHH).

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